Störungssimulationen im niederländischen Bahnbetrieb

Störungssimulationen im niederländischen Bahnbetrieb

Übersicht

Die niederländische Eisenbahn Nederlandse Spoorwegen N.V. (NS) unterhält nach der Schweiz eines der weltweit verkehrsreichsten Eisenbahnnetze. Ihr Jahresumsatz betrug 2018 5,926 Mio. Euro. Jedes Jahr fahren 9 Mio. Menschen mit den blauen und gelben Zügen. Die Bahnstrecke der Niederländischen Eisenbahnen umfasst über 6.830 Kilometer – etwa der Strecke von Utrecht nach Tibet.

Problemstellung

Die Ingenieure der Niederländischen Eisenbahnen nutzen virtuelle Tests für ihre Innovationen, konnten aber viele Neuerungen nicht im realen Umfeld ausprobieren. Außerdem ließen sich zu Analysezwecken keine Störfälle auf den Bahnstrecken provozieren, was das ganze Land lahmlegen würde. Ferner wollten die Ingenieure der Niederländischen Eisenbahnen die Beschaffung und Einführung neuer Fahrzeuge und Innovationen wie selbstfahrende Züge oder das digitale Zugsicherungssystem testen.

Für solche Analysen verwendeten die Niederländischen Eisenbahnen bisher nur sehr detaillierte, mikroskopische Simulationen, mit denen es jedoch schwierig war, zu arbeiten.

Betriebsstörungen waren eines der zentralen Probleme der Niederländischen Eisenbahnen. Sie sind schwer vorherzusagen, passieren jedoch täglich. Es gab keinen Tag, an dem alle Züge mit dem entsprechenden Personal und Fahrzeugen pünktlich waren. Solche Unterbrechungen können durch Kühe auf dem Gleis, Türen, die nicht schließen, oder Stromausfälle verursacht sein. So fiel einmal ein Hochspannungskabel auf die Bahnstrecke, und es dauerte ein halbes Jahr, es zu reparieren. Normalerweise vereinfachten sie die Probleme folgendermaßen: Ein liegengebliebener Zug blockierte das Gleis, oder das Gleis war gesperrt und es konnten keine Züge passieren.

Lösung

Mit AnyLogic erstellten die Ingenieure in kürzester Zeit ein konzeptionelles, makroskopisches Modell, mit dessen Konzept ein neues Modell in weniger als eine Woche entwickelt werden konnte. Dazu wurde AnyLogic mit vielen anderen Prognosetools kombiniert. Das entstandene Modell war interaktiv, einfach zu bedienen und für den Endnutzer leicht verständlich.

Das AnyLogic-Simulationsmodell arbeitete wesentlich besser als die zuvor von den Niederländischen Eisenbahnen verwendete Visualisierung des Eisenbahnnetzes. Das Modell simulierte dabei alle Züge eines ganzen Tages.

Hierin bildeten sie eine Strecke aus dem Schienennetzwerk nach, die sie besonders interessierte und luden einen Fahrplan aus einem beliebigen Jahr –aus der Vergangenheit oder der Zukunft – beispielsweise aus dem Jahr 2030. Diese Daten wurden dann vereinfacht, indem man sie in Infrastruktur, Bahnhöfe, Bahnsteige und Züge einteilte.

Die Modellentwickler luden reale Daten aus dem Jahr 2019 und ermittelten so die stochastische Verteilungen für das Modell. Das AnyLogic-Modell wurde verwendet, um den Zugverkehr zu simulieren und die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, dass ein Zug pünktlich sein wird.

Gleisplan

Gleisplan

Die Entwickler der Niederländischen Eisenbahnen erstellten ein Simulationsmodell zur Vorhersage der netzweiten Pünktlichkeit, was manuell nicht möglich war. Das AnyLogic-Modell lieferte realistische Ausfallraten für Züge und Infrastruktur. Die Ingenieure verwendeten dabei einige einfache Umleitungsregeln.

Makroskopischer Gleisplan

Makroskopischer Gleisplan (zum Vergrößern anklicken)

Bei einem Zwischenfall können Fahrgäste, die sich nicht in der davon betroffenen Zone befinden, weiterbefördert werden. Dabei war es wichtig, die Störung auf ein möglichst kleines Gebiet zu beschränken und an dessen Grenzen Züge umzuleiten, damit die Fahrgäste pünktlich sind.

Des Weiteren führten die Entwickler der Niederländischen Eisenbahnen ein Monte-Carlo-Experiment durch. Das Modell enthielt zehn stochastische Verteilungen. Jedes Mal, wenn der Zug abfuhr, zeigte es mögliche Verspätungen oder Ausfälle an. Das Modell wurde mit einer SQL-Datenbank verbunden, um vordefinierte Parametersätze zu laden.

Ergebnisse

Ingenieure konnten bestimmte Störfälle testen und erhielten bei einem durchgeführten Experiment die gewünschten KPIs, also die Gesamtverspätungen der Züge, die Anzahl der Ausfälle, die ausgefallenen Züge und die Pünktlichkeit. Die Modelllaufzeit war hervorragend, denn dieses Experiment zeigte die Ergebnisse für 5 Jahre nach einer Laufzeit von etwa 5 Minuten.

Monte-Carlo-Experiment mit AnyLogic

Monte-Carlo-Experiment mit AnyLogic (zum Vergrößern anklicken)

Die Niederländischen Eisenbahnen verwendet das simulationsbasierte Planungswerkzeug für die Eisenbahn seit fast 5 Jahren. Während dieser Zeit wurden einige Änderungen daran vorgenommen. So verwenden sie zum Beispiel mehr Aktivitäten in den Übergängen als in den Zustandseinträgen. Das verhindert Verwirrung bei der Verwendung historischer Zustände.

Früher zeichneten die Ingenieure der Niederländischen Eisenbahnen das Modelllayout von Hand, gaben ihm einen Namen und verbanden es mit einer Input-Datei. Dann begannen sie mit der Automatisierung mittels AnyLogic-Vorlagen, die es ihnen ermöglichten, bequem zwischen Layouts (Teilen der Niederlande) zu wechseln. Dank AnyLogic wurde es so möglich, das Schienennetz fast der gesamten Niederlande zu modellieren.

Um Informationen von der Fahrplan-Planungssoftware und dem Fahrzeugdisponenten zu erhalten, wurde das Modell mit einigen ihrer Produktionssysteme verbunden. Die Niederländischen Eisenbahnen verwendete dabei XML-Dateien, konvertierte sie in eine SQL-Datenbank und übertrug die Eingabedaten von SQL auf AnyLogic. Nach der Simulation konnten die Ausgabedaten aus AnyLogic wieder in eine SQL-Datenbank exportiert und mit Power BI visualisiert werden.

Fallstudie: Erhöhung der Zugfrequenz

Problemstellung

Die Niederländischen Eisenbahnen wurden von der Regierung aufgefordert, die Zugfrequenz zu erhöhen und dabei die Pünktlichkeit beizubehalten. Ein dichter befahrenes Streckennetz beeinträchtigt die Pünktlichkeit, denn es gibt mehr Züge, die ausfallen können, oder mehr Fahrgäste, die Verspätungen verursachen können. Auch die Infrastruktur insgesamt wird stärker beansprucht.

Lösung

Die Niederländischen Eisenbahnen musste untersuchen, wie die Pünktlichkeit auf demselben hohen Niveau gehalten werden konnte. Zu diesem Zweck wurde ein sehr abstraktes Modell mit einer Reihe von langsamen und schnellen Zügen, Gleisen, Bahnhöfen und dem realen Fahrplan verwendet. Hiermit wurden dann unterschiedliche Zeitpläne simuliert.

Ergebnisse

Die folgende Abbildung zeigt den Prozentsatz aller pünktlichen Züge sowie zu verzeichnende Leistungsabfälle. Der orangefarbene Balken zum Beispiel zeigt die Pünktlichkeit von vier Schnellzügen pro Stunde ohne den Bau neuer Gleise; würde man die Infrastruktur um zwei Gleise erweitern, wäre die Pünktlichkeit höher.

Prozentualer Anteil pünktlicher Züge

Prozentualer Anteil pünktlicher Züge

Eine der Herausforderungen war die Frage, wie man mit der vorhandenen Infrastruktur die Zugfrequenz steigern könnte. Ein damit verbundener Leistungsabfall könnte nicht nur durch die Infrastruktur, sondern auch durch die Zuverlässigkeit der Züge und die Flexibilität des Fahrplans kompensiert werden.

Fallstudie: Zugbeschaffungsplanung

Problemstellung

Die Niederländischen Eisenbahnen planten, Doppelstockwagen mit neuen Triebköpfen zu beschaffen, was zusätzliche Investitionen erforderte. Der Fahrzeugbestand ist besonders kapitalintensiv, weshalb herausgefunden werden musste, ob die geplante Investition in die Zuverlässigkeit ihr Geld wert sein würde.

Lösung

Für 2040 wurde ein neuer Fahrplan simuliert, bei dem die Zugfrequenz auf rund 8 bis 10 Züge auf einer Strecke pro Stunde verdoppelt wurde. Das Modell berücksichtigte die heterogene Umgebung mit allen Zugarten, die Ausfalldaten von 2019 sowie die Ausfallraten der neuen Züge.

Ergebnisse

Die Ankunftszeiten der Züge waren einer der KPIs, mit der Pünktlichkeit als Kundennutzen.

Unterschied in der Pünktlichkeit der Züge in Bezug auf die Zuverlässigkeit der neuen Züge

Unterschied in der Pünktlichkeit der Züge in Bezug auf die Zuverlässigkeit der neuen Züge

Das AnyLogic-Simulationsmodell zeigte, dass bei einer Verbesserung der Zuverlässigkeit der neuen Züge um 20 % nur 0,08 % der modellierten Züge pünktlich ankommen würden – dies wäre nicht rentabel. Daher beschlossen die Niederländischen Eisenbahnen, stattdessen in ein besseres Störungsmanagement zu investieren.

Weitere Studien

Des Weiteren führten die Ingenieure eine Studie zur Optimierung der Reparaturstellen durch. Zu den Ergebnissen, die die Niederländische Eisenbahn mit dem Einsatz von AnyLogic als Bahnsimulationssoftware erzielt hat, gehören die Einführung von neuen Schienenfahrzeugen, das neue Sicherheitssystem, ein automatisierter Zugbetrieb, langfristige Infrastrukturinvestitionen und kurzfristige betriebliche Entscheidungen.

Die Fallstudie wurde von Camiel Simons von der Nederlandse Spoorwegen N.V. auf der AnyLogic Conference 2022 vorgestellt.

Die Präsentation ist als PDF verfügbar.


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