Übersicht
Großbaustellen in Innenstädten sind meist laut und verschlechtern die bereits angespannte Verkehrssituation zusätzlich. Die Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum (RUB) in Deutschland hatten sich daher zum Ziel gesetzt, derartige Tunnelbaustellen zu verbessern. Ziel war es, die Prozesse mithilfe von prozessorientierten Simulationsmodellen zu analysieren und besser zu managen.
Problemstellung
Der maschinelle Tunnelbau beinhaltet zwei sich abwechselnde Arbeitsgänge: Aushub und Ringbau. Die dabei angewandten Verfahren erfordern eine große Anzahl von Maschinen- und Logistikkomponenten (Tunnelbohrmaschine, externe Logistik usw.). Wird eines dieser Elemente gestört, kann der gesamte Ablauf zum Erliegen kommen.
Die begrenzten Lagerflächen über und unter der Erde sind dabei einer der limitierenden Faktoren. Auch nehmen die Transportentfernungen im Tunnel mit dem fortschreitenden Tunnelbau stetig zu.
Die erzielbare Performance hängt also vom reibungslosen Zusammenspiel aller baubedingten Prozesse ab. Damit ist eine klassische Berechnung der Tunnelbauzeit nur begrenzt möglich.
Um Stillstandszeiten zu reduzieren, war eine umfassende Analyse der komplexen Hilfsprozesse mittels einer Prozesssimulation erforderlich. Dadurch sollte eine robustere Planung von Logistik- und Wartungsprozessen erreicht werden, die auch Unsicherheiten, insbesondere bei den Eingabedaten, berücksichtigen kann.
Lösung
Logistische Herausforderungen lassen sich mithilfe von prozessorientierten Simulationen analysieren. Dabei wurde die Prozesssimulation vor allem dazu eingesetzt, die Bauzeit zu verkürzen. Zu diesem Zweck untersuchten die RUB-Entwickler verschiedene Logistikprozesse des maschinellen Tunnelbaus in mehreren Modellen.
Da die Optimierung immer mit so wenigen Variablen wie möglich erfolgen sollte, wurden verschiedene Bereiche des Tunnelbaus in unterschiedlichen AnyLogic-Modellen betrachtet. Dabei mussten die Modellentwickler die jeweiligen urbanen Rahmenbedingungen wie Lärmschutz, Verkehrsstaus oder Umweltverträglichkeit berücksichtigen.
Ziel war es, den Flächenbedarf der Tunnelbaustelle zu minimieren und die Bauzeit so kurz wie möglich zu halten. Ferner wollte die RUB herausfinden, ob die Prozesssimulation auch in frühen Planungsphasen maschineller Tunnelbauprojekte eingesetzt werden könnte.
Zwei Schlüsselprozesse, die maßgeblich bestimmen, wo diese Flächen liegen können, sind die Lieferung von Auskleidungssegmenten und die Entsorgung des Aushubs.
Das Modell wurde in vier Hauptagenten unterteilt: zwei Tunnel, die Erdableitung des Aushubs und die sich in dem Tunnel befindlichen Ausbauten. Zur einfacheren Auswertung gab es zudem einen Agenten zur Verfolgung des Simulationsfortschritts.
Um die verschiedenen Logistikvarianten zu testen, wurde ein weiteres Simulationsmodell erstellt und aus der Analyse aller Modellvarianten ein optimiertes Simulationsmodell entwickelt. Auf diese Weise war es möglich, die Logistikprozesse des maschinellen Tunnelbaus unter Berücksichtigung einer Reihe von innerstädtischen Randbedingungen zu optimieren.
Die rot markierten Agenten wurden bei jeder Modellvariante leicht verändert. Die AnyLogic-Simulationssoftware ermöglichte es RUB dabei, das inhärente Verhalten einzelner Agenten und die Interaktion zwischen verschiedenen Agenten zu modellieren. Außerdem war es beim maschinellen Tunnelbau notwendig, die Flüssigkeitsströme zu integrieren.
Darüber hinaus vereinfachte die 2D- und 3D-Modellierung in AnyLogic die Verifizierung und Validierung des Modells für die Entwickler.
Ergebnisse
Basierend auf der Analyse aller Modellvarianten wurde ein optimiertes Modell erstellt, das die innerstädtischen Zwänge berücksichtigte und die voraussichtliche Bauzeit prognostizieren konnte.
Die Abraumentsorgung wurde in diesem optimierten Modell per Zug anstelle von Lastwagen bewerkstelligt. Ferner wurde die Kapazität des Lagers geringfügig erhöht. Die beiden unten abgebildeten Histogramme des ursprünglichen und optimierten Modells zeigen die Tunnelbauzeit, die in einer Monte-Carlo-Simulation mit tausend Wiederholungen pro Modell ermittelt wurde.
Die beiden oberen Diagramme in der nachfolgenden Abbildung veranschaulichen die Ergebnisse des ursprünglichen Modells. Die linke Grafik zeigt die gesamte Tunnelbauzeit, die den Aushub, den Ringausbau und die Stillstandszeit umfasst. Das rechte Diagramm zeigt die Gründe für diese Ausfallzeiten, einschließlich regelmäßiger Wartung, Geräteausfälle usw. Die Diagramme darunter zeigen dieselben Informationen, allerdings für das optimierte Modell.
Die Stillstandszeiten sind im optimierten Modell viel geringer als im ursprünglichen Modell. Betrug die Gesamtbauzeit mit dem ursprünglichen Modell im Durchschnitt 194 Tage, benötigt das optimierte Modell nur 169 Tage.
Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass die Bauzeit um 25 Tage (12,9 %) reduziert werden konnte. Dies wurde vor allem durch die Verringerung der Stillstandszeiten der Tunnelvortriebsmaschinen um 40,5 % erreicht, was zu einer durchschnittlichen Vortriebsgeschwindigkeit von 17,78 m/Tag führte (eine Steigerung von 15 %). Die Verringerung des Lkw-Verkehrs in der Stadt wurde zudem erreicht, indem die Entsorgungsmethode für den Abraum auf Zugtransport umgestellt wurde (30 Lkws pro Tag anstelle von 103 Lkws).
Dank der Prozesssimulation des maschinellen Tunnelbaus waren die Fachleute schon in einer frühen Planungsphase in der Lage, verschiedene Logistikvarianten zu vergleichen. AnyLogic ermöglichte es den Wissenschaftlern der RUB dabei, Unsicherheiten in der Prozesssimulation bei der Gestaltung der Logistikprozesse zu berücksichtigen.
Da das AnyLogic-Modell leicht modifiziert werden kann, lassen sich Handlungsalternativen für unterschiedliche Bedingungen schnell untersuchen. Daher ist es von Vorteil, die Prozesssimulation auch in der Bauausführungsphase des maschinellen Tunnelbaus anzuwenden.
Die Fallstudie wurde von Judith Berns von der Ruhr-Universität Bochum auf der AnyLogic Conference 2022 vorgestellt.
Die Präsentation ist als PDF verfügbar.
