Überblick
Alstom ist weltweit führend in der Transportbranche. Das Unternehmen bietet Züge, Signalisierungssysteme und Wartungsdienste sowie integrierte Transportsysteme an. Zu den Produkten von Alstom gehören die Hochgeschwindigkeitszüge TGV und Eurostar. Das Unternehmen verfügt weltweit über 105 Standorte mit mehr als 34000 Mitarbeitern. Der Reinertrag beträgt 475 Millionen Euro.
Die SimPlan AG ist der führende deutsche Simulationsdienstleister, spezialisiert auf die Bereiche Automotive und Logistik. Der Umsatz des Unternehmens beträgt 14,5 Millionen Euro.
Alstom betrachtet Innovation als entscheidend für die Bewältigung der Mobilitätsherausforderungen der Zukunft. Gemeinsam mit SimPlan vereinbarten sie die Entwicklung eines digitalen Entscheidungsunterstützungssystems für das Instandhaltungsmanagement der Zugflotte.
Diese Arbeit ist Teil des EU-Projekts OPTIMISED, das von der Europäischen Kommission im Rahmen des EU-Programms H2020 finanziert wird. OPTIMISED ist eine große europäische Initiative, die darauf abzielt, Methoden und Werkzeuge für eine hochoptimierte reaktive Planung für eine Vielzahl von Industriesektoren zu entwickeln. Der Schlüssel zum Projekt sind Simulationen und digitale Zwillinge, die mit dessen Hilfe erstellt werden. Ein digitaler Zwilling ist eine virtuelle Nachbildung eines physischen Systems und seines Betriebs, wie er im wirklichen Leben stattfindet. Diese Art von Simulationsmodell kann kontinuierlich aus mehreren Datenquellen aktualisiert werden und seinen Zustand ändern, um das physische Gegenstück abzubilden.
Problemstellung
Alstom unterhält die gesamte Pendolino-Zugflotte auf der stark befahrenen West Coast Main Line (WCML) in Großbritannien. Mit 56 zu wartenden Zugverbänden und fünf Wartungsdepots muss das Unternehmen bei der Planung und Verwaltung der Instandhaltung viele Aspekte berücksichtigen:
- Tägliche Betriebsanforderungen für die Strecken und Fahrpläne in Bezug auf die benötigten Zugverbände und Kapazitäten.
- Wartungspläne: Häufigkeit und Parameter (wie Zeit oder Fahrleistung) für die Inspektion und Wartung der Zugverbände.
- Fehlerbehebende Wartung im Falle eines Unfalls oder einer Störung.
- Wartungskapazität: Ob ein Depot über ausreichende Ressourcen für die Wartung oder die Reparatur verfügt.
Züge, die früher als nötig gewartet werden, verursachen unnötige Kosten für das Wartungsunternehmen, während eine verspätete Wartung zu Störungen und zusätzlichen kostspieligen Reparaturen führen kann. Daher war ein umfassendes, digitales Werkzeug erforderlich, um die Wartung effektiv zu verwalten.
Lösung
Da viele Parameter zu berücksichtigen sind, ist eine Simulation erforderlich. Eine einfache Simulation mit festen Daten reicht jedoch nicht aus. Der Grund dafür ist, dass die Situation innerhalb eines Schienennetzes trotz eines festen Zugfahrplans sehr unbeständig ist und es schwierig ist, die Standorte von Zügen auch nur wenige Tage vorherzusagen. Die Verwendung aktueller Daten erlaubt tiefere Einblicke. Aus diesem Grund veranlassten die Entwickler den Aufbau eines digitalen Zwillings des Systems. Mit täglichen Aktualisierungen aus dem Betrieb wurde es möglich, das System genau darzustellen.
Die AnyLogic Transportsimulations- und Planungssoftware erlaubt die Verwendung der geeignetsten Modellierungsmethode für eine Simulation oder sogar die Verwendung mehrerer Methoden zusammen. Bei diesem Modell entschieden sich die Entwickler für einen agentenbasierten Modellierungsansatz, der die Erfassung des gesamten Eisenbahnnetzes und des gesamten Betriebs ermöglicht:
- Die Flotte
- Depots und Stationen
- Wartungspläne
- Diagramme, die den Flottenzeitplan definieren
AnyLogic ermöglichte es den Entwicklern ebenfalls Daten aus unterschiedlichen Quellen zu verarbeiten, ohne dass deren Format geändert werden musste. Systemdaten zur Flotte, den Bahnhöfen, den Depots und ihren Einschränkungen werden in Excel bereitgestellt, während es sich bei den Zeitplandiagrammen der Zugverbände um CSV-Dateien handelt, die täglich zugewiesen werden.
Der Wartungsplaner, den Alstom normalerweise verwendet, basiert auf einem heuristischen Zeitplanungsalgorithmus. Dieser wurde von den Entwicklern in die AnyLogic Eisenbahnsimulationssoftware eingebettet. Die direkte Verbindung von Simulation und Scheduler stellt einen großen Vorteil dar, da sie bei Bedarf schneller erneut zusammen ausgeführt werden können.
Das Modell verfügt über eine interaktive und benutzerfreundliche AnyLogic Schnittstelle. Die GIS Funktionalität in AnyLogic ermöglicht die Anzeige und Verwaltung von GIS Karten im Modell. Mit dieser Funktionalität visualisierten die Entwickler den Betrieb der Eisenbahnflotte mit Daten von OpenRailwayMap. Auf dieser Karte können Benutzer alle Flottenvorgänge sehen. Darüber hinaus ist es möglich, auf ein beliebiges Element zu klicken, um umfassende Informationen darüber zu erhalten. Für ein Zugverband stehen zur Verfügung:
- Statistiken zu den kumulierten Betriebsstunden.
- Details zu vorbeugenden und fehlerbehebenden Wartungsarbeiten(abgeschlossen, fällig und geplant) sowie zu den beteiligten Depots.
- Gesamtzeit, die der Zug für die Wartung aufgrund des Zeitplans außer Betrieb sein kann.
AnyLogic, das auf Java basiert, ermöglichte es den Entwicklern, benutzerdefinierte Java Erweiterungen und eine frei verteilbare, alleinstehende Anwendung für die Simulation und die Optimierung von Eisenbahnflotten zu erstellen – ein Merkmal, das den Ingenieuren half, das Modell Führungskräften zu präsentieren.
Zahlreiche Weiterentwicklungen des Simulationsmodells sind geplant. Zum Beispiel sollen die Zugverbände mit Detektoren ausgestattet werden, um Daten an das Modell zu senden und die Realität genauer abzubilden. Der Scheduler soll außerdem mit probabilistischen Methoden und maschinellen Lernfunktionen für die vorausschauende Eisenbahnzeitplanung und für eine weitere Optimierung von Planungsrichtlinien aufgerüstet werden.
Ergebnis
Der digitale Zwilling repräsentiert den Betrieb der gesamten WCML-Flotte. Er ermöglicht seinen Benutzern unnötige Eisenbahn-Wartungskosten zu sparen, indem eine optimale Lösung unter Berücksichtigung von gegebenen Einschränkungen gefunden wird. Der Benutzer kann:
- Die Systemleistung innerhalb vorgegebener Parameter verstehen und Engpässe aufspüren.
- Schnell und sicher verschiedene Möglichkeiten, Züge kostengünstiger zu warten (Änderung der Wartungsstrategie für Zugflotten, Planungsstrategien, Depotkapazitäten), in einer digitalen Umgebung erkunden.
- Szenarien vergleichen, KPIs bewerten und fundierte Entscheidungen treffen.
Bei Notfällen oder ungeplanten Ereignissen kann Alstom durch Ändern der Eingabedaten schnell eine neue und effektive Lösung finden. Es ist auch möglich, denkbare Ereignisse vorauszuahnen und im Voraus Lösungen zu finden, indem verschiedene Was-wäre-wenn-Szenarien ausgeführt werden.
Wenn vom Kunden globale Änderungen vorgeschlagen werden (ein neuer Fahrplan, zusätzliche Züge oder Strecken), kann das Wartungsunternehmen prüfen, ob sie die Wartung beeinflussen und neue Lösungen vorschlagen. Darüber hinaus ist das Modell ein illustratives Werkzeug für Präsentationen beim Kunden.
Der digitale Schienennetzzwilling ist ein wertvolles Werkzeug für die Simulation und Entscheidungsfindung bei der Eisenbahn in anderen Phasen der Flottenwartung, einschließlich:
- Bei der Teilnahme an Angeboten und Ausschreibungen kann das Unternehmen verlässliche Abschätzungen mit Daten und Simulationen zur Unterstützung seiner Vorschläge vornehmen. Das Modell ist ein leistungsfähiges visuelles Instrument für die Kommunikation.
- Während der Entwurfs- und Konstruktionsphase kann das Wartungsunternehmen bei Projektänderungen flexibel sein und Einschränkungen berücksichtigen.
- Das Unternehmen kann basierend auf den Modellergebnissen Projektprognosen erstellen.
Die Investition in einen digitalen Schienennetzzwilling hat sich sowohl bei der kurzfristigen als auch langfristigen Entscheidungsfindung als sehr nützlich erwiesen.