Überblick: Wie und warum ein digitaler Zwilling einer Automobilfertigungslinie erzeugt und getestet wurde.
CNH Industrial ist ein globaler Führer im Bereich Investitionsgüter. Die Firma wird finanziell durch die italienische Investmentfirma Exor kontrolliert und besteht aus 12 Marken, darunter Case, New Holland und Iveco. Durch seine Marken entwirft, produziert und verkauft CNHI ein breites Spektrum an landwirtschaftlichen, industriellen und gewerblichen Fahrzeuge und Antriebssträngen. Mehr als 63000 Menschen arbeiten für CNH in 66 Fertigungsfabriken und 53 Forschungs- und Entwicklungszentren in 180 Ländern. Die Firma ist an der New York Stock Exchange notiert und Teil des italienischen Aktienindex.
Fair Dynamics agiert hauptsächlich von Mailand aus und bietet ein weites Spektrum an Beratungsdienstleistungen für eine Vielzahl von Industrien, inklusive Banken, Fertigung und öffentliche Dienstleistungen, an. Die Firma wurde vor kurzem durch Engineering Ingegneria Informatica S.p.A, einem Anbieter von Software- und IT-Dienstleistungen in Italien und international, erworben. Der gemeinsame Umsatz betrug 2017 mehr als 1 Mrd. Euro.
Fair Dynamics wendet innovative Technologien an, um industrielle Probleme zu lösen und die Effizienz zu steigern. Ihr Hauptansatz ist Modellierung und Simulation. Hierfür verwendet die Firma AnyLogic seit 2010. Sie agiert auch als Distributor für AnyLogic in Italien.
Problemstellung
Herstellungsprozesse werden zunehmend digital. Man sagt auch, dass wir in das vierte Industriezeitalter eintreten (Industrie 4.0) und der Übergang hin zu intelligenten Fabriken begonnen hat. Innerhalb intelligenter Fabriken überwachen Cyper Physical Systems physikalische Prozesse, erzeugen eine virtuelle Kopie der physikalischen Welt und treffen dezentral Entscheidungen.
Mit der bereits begonnenen Digitalisierung testen Firmen neue Technologien, wie künstliche Intelligenz und Cloud Computing, mit dem Ziel, schrittweise auf eine intelligente Fabrik umzustellen und von diesem neuen Phänomen zu profitieren.
CNH Industrial identifizierte Wartungsprozesse als ein vielversprechendes Gebiet, um mit der Anwendung von neuen Industrie 4.0 Technologien zu beginnen. In der Automobilindustrie und in verwandten Industrien können die durch Ausfallzeiten verursachten Kosten hoch sein. Für globale Firmen können durch einen Ausfall von einer Minute die Kosten 160k Dollar übersteigen und diese Zahlen steigen von Jahr zu Jahr. Von daher kann eine verbesserte Wartung, die Ausfallzeiten reduziert, bedeutende Erfolge liefern. Durch die Identifizierung der kritischsten Bereiche können sogar Verbesserungen um sehr wenige Prozentpunkte sehr viel Geld sparen.
Deshalb wollte CNH Industrial ein digitales Werkzeug für die Bewertung und die Auswahl verschiedener Wartungsmethoden testen und verständigte sich mit Fair Dynamics auf ein Pilotprojekt. Sie entschieden sich, sich auf eine einzelne Fertigungslinie zu konzentrieren, die Schweißarbeiten am Fahrwerk des Iveco Daily Lieferwagen durchführt (die Mascherone Linie der Suzzara Fabrik, Italien). Die Simulation sollte es dem CNHI Management ermöglichen, die Vorteile möglicher Wartungsstrategien in verschiedenen Szenarien zu sehen und informierte Wartungsentscheidungen zu treffen.
Die Wahl der Suzzara Fabrik für einen digitalen Zwilling war nicht zufällig. CNH Industrial wendet die Prinzipien des World Class Manufacturing (WCM), ein innovatives Programm für kontinuierliche Verbesserung, an. Zu diesem Zeitpunkt hatte CNHI nur eine WCM Gold Level Auszeichnung und die Iveco Fabrik in Suzzara war nah daran, für CNHI eine zweite zu erreichen. CNHI wollte sehen, wie die neue Technologie helfen konnte, die Auszeichnung zu erlangen.
Lösung
Das Projekt mit dem digitalen Zwilling konzentrierte sich auf eine bestimmte Fertigungslinie für das Iveco Fahrwerkschweißen. Diese Linie kann als ein Förderband beschrieben werden, das durch eine Anzahl von Stationen führt. Fair Dynamics sollte die Aufmerksamkeit auf die automatischen Schweißstationen (orangene Blöcke im Bild) richten. Wenn ein Lieferwagen an einem dieser Stationen hält, arbeiten die Roboter gemeinsam daran, die Schweißarbeiten abzuschließen.
Die Schweißpistolen haben eine Achillesferse – das Lamellenbündel (ein elektrischer Leiter, der während des Betriebs gebogen wird). Die Bewegung führt allmählich zu einer Beschädigung der Kupferschichten der Bündel. Wenn die Beschädigung kritisch wird und die Leitfähigkeit sich ausreichend verändert, kann dies zu einem Schmelzen des Lamellenbündels selbst führen. Während ein Austausch dieser Komponente normalerweise in wenigen Minuten erfolgen kann, kann es bei einer Beschädigung des Lamellenbündels mehrere Stunden dauern. Ein digitaler Zwilling, der den Zustand dieser Komponente überwacht und vorhersagt, könnte zu einer bedeutenden Reduzierung der Ausfallzeit beitragen.
Fair Dynamics erstellte einen agentenbasierten digitalen Zwilling mit folgenden Agenten:
- Lieferwagen — Es gibt unterschiedliche Typen von Lieferwagen in Übereinstimmung mit den Typen von Lieferwagen, die produziert werden sollen. Jeder Typ erfordert eine unterschiedliche Handhabung (unterschiedliche Operationen, Stationen und Roboter können beteiligt sein) und dies beeinflusst den Abbau der Komponente.
- Stationen — Jeder Stationsagent wird durch die Anzahl der Roboter charakterisiert, die er enthält und wird durch bestimmte Vorschriften geregelt.
- Roboter — jeder Roboter ist mit einem Sensor ausgestattet, der ein Signal mit dem aktuellen Zustand des Roboters an das Simulationsmodell sendet. Jeder Roboteragent wiederum ist mit einem speziellen PHM (Prognostic & Health Management) Modell ausgestattet, das den Abbau des Roboters in Übereinstimmung mit den erhaltenen Signalen vorhersagt.
Durch den Aufbau des digitalen Zwillings auf diese Weise konnte Fair Dynamics drei grundlegende Wartungsstrategien zum Testen und zur Verwendung einführen:
- Geplante Wartung (Komponenten werden gemäß eines Zeitplans ersetzt).
- Situationsbasierte Wartung (Komponenten werden aufgrund von Warnsignalen ersetzt).
- Vorausschauende Wartung (Komponenten werden gemäß eines Zeitplans ersetzt, der auf Informationen über ihren Zustand und ihre Verwendung basiert).
Innerhalb des Projektes hat sich AnyLogic als nützlich bei der Erstellung des Zwillingsmodells erwiesen. Abgesehen davon, dass es agentenbasierte Modellierung ermöglicht, konnte durch benutzerdefinierte Anpassungen von Fair Dynamics das ELF Vorhersagemodell (Maschinenlernen) eingebunden werden. Die Integration von Modellierung und Maschinenlerntechniken hat in solchen Systemen großes Potential.
Durch die Verwendung von AnyLogic konnte der digitale Zwilling mit externen Datenquellen verbunden werden. Die Produktionsreihenfolge, die Schweißpunkte pro Lieferwagentyp, die Kurve des Roboterlebenszyklus und andere Daten wurden von externen Quellen importiert und zur Laufzeit von einem Agenten automatisch gelesen. Darüber hinaus konnte das System exportiert und eine allein lauffähige Applikation für mehrere Computer geliefert werden, was Datenrandbedingungen und Anforderungen an die IT Abteilung entschärfte.
Ergebnis
Mit Hilfe des digitalen Zwillings konnten das CNHi Management und Spezialisten detaillierte und anschauliche Informationen über die ökonomischen Konsequenzen und die Folgen für die Produktion von verschiedenen Konfigurationen für Wartungsstrategien erhalten. Dies geschieht durch die Ausführung von Was-wäre-wenn-Szenarien, bei denen der Nutzer unterschiedliche Kernparameter (z. B. Wartungsstrategie, Produktionsplan, Arbeitsablauf, etc.) verändern kann. Es ist auch möglich, die Charakteristika der Linie oder eines Roboters zu ändern, wenn das notwendig sein sollte.
Das System kann sowohl für die nahe als auch die ferne Zukunft verwendet werden. Außerdem stellt die Verwendung des digitalen Zwillings für die Simulation ein bedienerfreundliches Werkzeug zur Verfügung, mit dem Szenarien analysiert und verglichen werden können. Hierdurch wird ein schnelles Verständnis erreicht, wie Änderungen Wartungskosten beeinflussen können. Der digitale Zwilling stellt eine Vielzahl von Daten zur Verfügung, die Gesamtproduktion, Wartungszeit, Gesamtkosten für Ersatzteile und die Arbeitskosten für die Wartung. Kurz gefasst, der digitale Zwilling ist ein detailliertes und umfassendes Werkzeug, mit dem sich ein effizienter Produktionslinienbetrieb herstellen lässt.