Die Stammzelltherapie nutzt Körperzellen für die Wiederherstellung von Gewebe. Diese Stammzellen werden im Labor gezüchtet und so manipuliert, dass sie zu bestimmten Zelltypen werden, z. B. Herzmuskelzellen, Blutzellen oder Nervenzellen. Diese Zellen können entweder andere Zellen im Körper des Patienten reparieren oder solche ersetzen, die durch Krankheit oder Chemotherapie vorgeschädigt sind. Sie können zudem mit dem Immunsystem zusammenarbeiten, um bestimmte Krebsarten und Blutkrankheiten wie Leukämie zu bekämpfen.
Problemstellung
Die Herstellung einer Zelltherapie birgt einige einzigartige Herausforderungen – wie etwa eine Lieferkette, die sehr individuell auf den einzelnen Patienten zugeschnitten ist.
Die Herstellungsverfahren sind klar definiert und müssen sorgfältig befolgt werden. Zu Beginn des Prozesses benötigt ein Patient kompatible Nabelschnurbluteinheiten (Cord Blood Units, CBUs). Wurde eine passende Probe gefunden, wird diese an die Produktionsstätte geschickt und die CBUs umgehend in flüssigem Stickstoff gelagert. Alle zur Produktion erforderlichen Ausgangsstoffe müssen bereitgestellt werden, bevor der Prozess gestartet werden kann.
Da der einmal gestartete Prozess nicht unterbrochen werden kann, müssen freie Produktionszeiten so effizient wie möglich genutzt werden. Das fertige Produkt wird am letzten Tag der Produktion („Ernte“) eingefroren und dann für den Transport zum Krankenhaus des Patienten vorbereitet.
Während der laufenden Produktion kann in einem Reinraum immer nur an einer Charge zugleich gearbeitet werden – Engpässe sind damit zu erwarten.
Ein Stammzellenproduzent bereitete sich gerade auf den Produktionsstart seiner neuen Anlagen vor. Daher beauftragte der Hersteller zwei Beratungsunternehmen, Logico und Opyflow, mit der Validierung der Produktionskapazitäten der Anlage und der Maximierung der Reinraumnutzung.
Lösung
Die beiden Beratungsfirmen nutzen einen Digitalen Zwilling, um gemeinsam eine Lösung für den Herstellungsprozess zu entwickeln. Aufgrund der in dieser Branche vorherrschenden stochastischen, zeitabhängigen Nachfrage mit vielen Variablen wurde diese Form der Simulation einem einfachen analytischen Modell vorgezogen.
Die Berater entschieden sich für AnyLogic, um den Digitalen Zwilling zu erstellen, da AnyLogic sowohl die agentenbasierte als auch die ereignisorientierte Simulationsmodellierung ermöglicht. Ferner bietet AnyLogic die Möglichkeit, äußerst komplizierte Prozesse mittels Java-Programmierung zu beschreiben und die Bibliotheken individuell anzupassen. Wichtig für dieses Projekt war auch, dass Optimierungen durchgeführt werden konnten. Und schließlich wurde eine Benutzeroberfläche entwickelt, die 3D-Visualisierungen und KPI-Dashboards enthielt.
Für den Digitalen Zwilling standen den Entwicklern bereits alle benötigten Parameter am realen Objekt zur Verfügung, darunter Technik, Betrieb, Planung und Qualität. Innerhalb jeder dieser Kategorien wurden weitere Parameter, wie im folgenden Diagramm dargestellt, identifiziert.
Der Auftraggeber erhielt ein autarkes Modell mit justierbaren Parametern. Der Prozess beginnt in dem Simulationsmodell mit der Warenannahme der Rohstoffe und der damit verbundene Kontrollen und Betriebsabläufe.
Auch das benötigte Personal berücksichtigt das Modell. Dies wechselt zunächst von einem unreinen Bereich in einen sterilen Bereich, bevor alle Arbeiten dann in sogenannten Reinräumen durchgeführt werden.
In einem Reinraum wird immer nur an einer Charge gleichzeitig gearbeitet. Man könnte also mehr Mitarbeiter beschäftigen, aber die Anzahl der Reinräume begrenzt die Anzahl an Chargen, an denen gearbeitet werden kann. Daher ist es notwendig, die Auslastung der Reinräume zu maximieren und etwaige Engpässe zu beseitigen.
Zur Identifizierung von Bottlenecks implementierten die Berater dafür einen mehrstufigen Optimierungsprozess, korrigierten die verursachenden Parameter und fixierten diese dann, damit sie nicht verändert werden konnten. Dann wiederholten sie den Optimierungsprozess, bis alle potenziellen Engpässe beseitigt waren.
Ergebnisse
Wie die Ergebnisse zeigen, konnte die Kapazität um 30 % gesteigert werden, was wiederum zu 30 % mehr Umsatz führt – der Kunde macht also mehr Gewinn.
Zudem war der Kunde nun besser auf die bevorstehende Inbetriebnahme vorbereitet, da zahlreiche Probleme bereits im Vorfeld gefunden und Planungsaspekte, die voher nicht bekannt waren, erkannt und gelöst werden konnten. Beispielsweise wurde nach der Identifizierung von Engpässen zusätzliche Ausrüstung angeschafft, um Bottlenecks zu beseitigen.
Schließlich wurden der Digitale Zwilling für die Fertigung und die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) herangezogen, die nötig ist, um die für die FDA einzureichenden Unterlagen zu erstellen und die notwendige Zulassung zu erhalten.
Mit Blick auf eine weitere Entwicklung dieses zelltherapeutischen Herstellungsprozesses ist das Erweiterungspotenzial des Modells nicht limitiert. Vorrangig ist jedoch das Modell so zu erweitern, dass auch die gesamte Lieferkette berücksichtigt wird.
Die Fallstudie wurde von Yossi Benagou von Logico und Dov Amor von OPYflow auf der AnyLogic Conference 2022 vorgestellt.
Die Präsentation ist als PDF verfügbar.
