Problem:
Die Anlaufphase eines neuen Produktes im Flugzeugbau ist ein komplexer Prozess, bedingt durch die hohe Anzahl an Änderungen, die in der Herstellungsphase sowohl das Produkt als auch den Produktionsprozess betreffen, und diese Änderungen die Vorlaufzeit eines Flugzeuges dramatisch erhöhen können. Zudem sind Flugzeuge komplexe Produkte in kleiner Serie, die entsprechend den äußerst spezifischen Anforderungen der Kunden angepasst werden, was den Start eines neuen Produktes noch schwieriger gestaltet. Heute sind Produktanläufe häufiger geworden, da der durchschnittliche Produktlebenszyklus immer kürzer wird. All diese Punkte können den Anlauf, bzw. das Ramp-up von Produkten zu einer großen Herausforderung für Verfahrensingenieure im Flugzeugbau machen.
Die Airbus-Gruppe ist am EU-Projekt ARUM (Adaptive Production Management) beteiligt, dessen Fokus eine IT-Lösung für die Risikominderung, die Entscheidungsfindung und Planung während der Anlaufphase von neuen Produkten ist. Das Projekt ist hauptsächlich auf die Flugzeug- und Schiffsbauindustrie ausgerichtet.
Die Simulation wurde als ein Teil der ARUM-Lösung gewählt, weil die Teilnehmer damit reale Erfahrungen einer Produktionsanlage reproduzieren können (basierend auf dem von der Airbus-Gruppe zur Verfügung gestellten Anwendungsfall), und liefert so eine Benchmark für den Test der ARUM-Lösung. Die Simulationssoftware AnyLogic wurde aufgrund ihrer Fähigkeit, agentenbasierte Modelle mit einem diskret-ereignisorientierten Ansatz zu kombinieren, eingesetzt.
Lösung:
Das Simulationsmodell beinhaltete einen Teil der Fertigungslinie des Hamburg Airbus A350. Hier wurden zwei verschiedene Teile des Flugzeugsrumpfes fertiggestellt. Dieser Teil der Fließbandfertigung bestand aus sechs Montagestationen mit jeweils 30-35 Personen, die an einer Station arbeiteten, und ungefähr 300 Arbeitsaufträgen pro Station. Die Herausforderung bestand darin, den Prozess der Anlaufphase, in der die allgemeine Produktivität über die Zeit zunimmt, mit der gesamten Anlaufzeit, die bis zu zwei Jahre dauert, zu kombinieren.
Struktur der ARUM-Lösung.
Das agentenbasierte und diskret-ereignisorientierte Modell beinhaltete drei Elementtypen:
- Die Fertigungsstraße, die die Arbeitsstationen mit einschloss, jede einzelne mit eigenen personellen und materiellen Ressourcen. Diese Stationen wurden als Agenten modelliert.
- Die Produkte (Abschnitte), die Teile dieser Fließbandfertigung durchlaufen. Für jeden Abschnitt mussten 200-600 Arbeitsaufträge den Stationen zugeordnet werden. Arbeitsaufträge beinhalteten Aufgabenstellungen mit einem spezifischen Bedarf an Material und Ressourcen. Wenn ein Abschnitt in eine Station einlief, begann dieser Arbeitsprozesse zu durchlaufen, die anhand der Prozessmodellierenden Bibliothek modelliert wurden, verließ dann diese Station, und gelangte zur nächsten Station und schließlich zur Fließbandfertigung einer anderen Stadt, die nicht modelliert worden war.
- Das Kontrollmodell implizierte Pläne, die manchmal von Störgrößen beeinflusst waren. Der Agent des Controllers modellierte das komplexe Verhalten von menschlichen Führungskräften, die auf störende Ereignisse mit Kontrollstrategien reagierten.
Diese Kontrollstrategien beinhalteten unter anderem Alternativen der Open-Work-Policy. Das bedeutet, dass ein Teil der Arbeit, der im Moment nicht erledigt werden konnte, auf einen anderen Zeitpunkt verschoben werden konnte, während die Produktion in der Anlage der anderen Stadt weiter fortgesetzt wurde. In diesem Fall müssten die Arbeiter für das Produkt Hamburg zur anderen Anlage reisen, um die Arbeit fertigzustellen (die sogenannte "Traveling Work"- Strategie). Alternativ könnte die Arbeit bis zur Behebung der Störgrößen ausgesetzt werden (sogenannte "Stop-and-Fix "- Strategie).
Die Störgrößen, die während der Anlaufphase auftraten beinhalteten:
- Unausgewogene Auslastungs- und Ressourcenzuordnung aufgrund der Lernkurven der Arbeiter und der Tatsache, dass die gleiche Fertigungsstraße mehrere verschiedene Produkte herstellte.
- Nonkonformitäten des Designs und Änderungen, da die Produktion oft mit einem nicht vollständig vorbereiteten Produkt begann.
- Fehlendes oder inkompatibles Material, bedingt durch späte Änderungen des Designs.
Die berechneten Modellstatistiken beinhalteten die erreichte Vorlaufzeit des Flugzeugs, den Umfang an „Traveling Work“ und die Nutzungsrate der Ressourcen (Arbeit, Materialien und Stationen).
Die Experten erstellten ein leicht verständliches Modell, das wiederverwendet werden konnte, und das in die Lösungsarchitektur von ARUM integriert wurde. Es beinhaltete auch die Visualisierung der Fließbandfertigung.
Ergebnis:
Ein Modelldurchlauf simuliert die Auswirkung der Strategien zur Minderung der Störgrößen, die vom Airbus Werk aktuell angewandt werden, insbesondere die Strategien " Stop-and-Fix”" und " Traveling Work“.
Die Modellierer testeten mehrere Ramp-up Szenarien mit verschiedenen Produktionsplänen. Sie prüften auch mehrere Störgrößen, auf Basis von historischen Daten, insbesondere extreme Szenarien.
Das Modell wird für den Vergleich von Plänen verwendet werden, die von ARUM entsprechend der aktuellen Managementpraktiken vorgeschlagen wurden. Dies wird die Entwicklung der besten Strategien zur Minderung von Störgrößen während der Anlaufphasen in der Flugzeug- und Schiffbauindustrie ermöglichen.