Übersicht
Deutschlands plant, komplett von Kohle und Atomkraft auf erneuerbare Energien umzusteigen und damit die Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 % zu reduzieren. Wenngleich bereits eine Menge an Solar- und Windenergie installiert wurde, möchte das Land die Nutzung erneuerbarer Energien bis 2030 weiter ausbauen. Das Baden-Württembergische Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, das Europäische Institut für Energieforschung (EIFER) und andere Partner arbeiteten deshalb gemeinsam an der Verbesserung der Ressourceneffizienz und dem Umbau hin zu einer hocheffizienten und nachhaltige kommunalen Energieversorgung in Deutschland.
Problemstellung
Die Hauptproblematik der Studie war, wie die schwankenden erneuerbaren Energien in das Stromnetz integriert werden könnten. Generell gilt: Die Energieversorgung muss jederzeit die aktuellen Bedarfe decken. Man könnte erzeugte Energieüberschüsse in Batterien speichern, doch dieser Weg ist vergleichsweise teuer, wenn man den Energiebedarf eines ganzen Bezirks oder einer ganzen Stadt decken will. Deshalb verfolgte EIFER in diesem Projekt einen anderen Ansatz. Es sollten die vorhandenen Energieverbraucher flexibler genutzt werden, um die Nachfrage besser an die schwankenden erneuerbaren Energieerzeuger anzupassen. Dazu gehört u. a. die Lastverlagerung von Verbrauchen in Zeiträume, in denen die Sonne scheint oder der Wind weht.
Die für diese Anpassung anfallenden Kosten wären deutlich geringer als die Installationskosten für zusätzliche Batteriespeicher. Also galt es, auf der Verbraucherseite so viel Flexibilität wie möglich zu schaffen, bevor Batteriespeicher zum Einsatz kommen.
Die dezentrale Energieverwaltung ist relativ gut vorhersehbar. Jedoch umfasst sie zahlreiche Technologien, erneuerbare Energieformen und neuartige Verbraucher (z. B. Elektrofahrzeuge). Das verändert die Art und Weise, wie das System gemanagt werden muss, einschließlich der Produktionsressourcen, der dezentralen Speicherung und der flexiblen Lasten, also Geräte, die den Energieverbrauch zeitlich verschieben können (z. B. Haushaltsgeräte).
Lösung
EIFER erarbeitete einen realen Energie-Demonstrator in einem Kreis mit 10 Gebäuden und etwa 25 Haushalten, in dem ein dezentrales Energiemanagementsystem eingerichtet wurde. Parallel dazu konstruierte EIFER einen Digitalen Zwilling, der mit dem Demonstrator verglichen werden konnte.
EIFER demonstrierte damit die Vorteile eines Digitalen Zwillings, einer virtuellen Darstellung des realen Systems. Sie begleiteten die verschiedenen Projektphasen und bauten es während seines gesamten Lebenszyklus weiter aus. Der Digitale Zwilling diente zudem als Datenspeicher für statische und dynamische Informationen, wie etwa verschiedene Betriebsszenarien.
Der Energie-Demonstrator wurde als agentenbasiertes Simulationsmodell angelegt, das die einzelnen Anlagenkomponenten der Stromerzeugung, Speicherung und Nachfrage für den Strom- und Wärmesektor detailliert abbildet und miteinander verknüpft.
Ein Objekt in Allensbach wurde gewählt, um die virtuelle Demonstration durch ein Multimethoden-Simulationsmodell zu veranschaulichen. Dieses Modell simulierte für Testzwecke 140 reale Verbraucher und seine 1-Sekunden-Auflösung ermöglicht Echtzeit- und Hardware-in-the-Loop-Tests des Energiemanagementsystems. Dabei stellt das System Wärme- und Stromflüsse und deren Wechselwirkungen auf verschiedenen Ebenen dar (Gerät, Haushalt, Gebäude und Grundstück).
Der Haushalt im obigen Beispiel umfasst verschiedene Komponenten, die als einzelne Agenten modelliert wurden. Darin sind elektrische Ströme in Gelb und thermische Ströme in Rot dargestellt. Die Steuereinheit der Wärmepumpe erlaubt eine flexible Anpassung der Nachfrage, um dessen Verbrauch mit einem autonomen Algorithmus zeitlich zu optimieren. Diese ist mit der Netzzustandsanzeige verbunden, die vom Netzanschlusspunkt kommt. Die Agenten erhalten die Informationen aus der Netzzustandsanzeige.
AnyLogic ist das Herzstück der Simulation. Sämtliche Eingaben werden in Excel-Dateien und in der AnyLogic-Datenbank gespeichert. Für die Visualisierung nutzte EIFER die AnyLogic Cloud . Ferner lassen sich die Ergebnisse in Excel exportieren, damit andere Personen die Daten analysieren können.
Aufgrund der Komplexität des Systems verwendete EIFER einen Multimethodenansatz, der die diskrete Ereignismodellierung und die Systemdynamik sowie datenbasierte Modelle nutzt. AnyLogic erlaubt die Verbindung verschiedenster Geräte. Für Experimente und deren Auswertungen wurde zudem AnyLogic Cloud verwendet.
Ergebnisse
Die Eigenverbrauchsquote des Systems stieg von 55 auf 75%, während sich die Leistungsspitze verringerte. Diese reduziert sich erheblich, wenn man E-Fahrzeuge (EVs) mit einbezieht und die Halter ihre Fahrzeuge nicht mehr gleichzeitig laden, wodurch sich die Ladevorgänge zeitlich verschieben.
Die Erhöhung der Eigenverbrauchsquote führt zu einer Senkung der Betriebskosten des gesamten Systems und damit der Stromkosten um bis zu 5 €ct/kWh für deutsche Verbraucher. Verglichen mit dem Stromtarif vor der Energiekrise von 30 €ct/kWh, beläuft sich die Ersparnis auf fast 20%. Zwar stiegen infolge der Energiekrise die Stromtarife stark an, es wurde jedoch erwartet, dass die Kosteneinsparungen proportional dazu steigen würden.
Am Beispiel von Haushaltsgeräten lässt sich die Lastverschiebung verdeutlichen. Diese arbeiten in der Regel immer dann, sobald sie von den Bewohnern eingeschaltet werden. Ist die Erwartungshaltung des Nutzers aber, dass das Geschirr bis zum nächsten Morgen gespült ist, beträgt das mögliche Zeitfenster für den Betrieb eines Geschirrspülers jedoch die ganze Nacht. Die Geschirrspüler in den individuellen Haushalten werden nun nicht mehr zeitgleich betrieben (etwa in den Abendstunden), sondern über die Nacht verteilt gestartet, was die Stromverbrauchskurve insgesamt abflacht.
In der Simulation wurde untersucht, wie der Anteil der lokal erzeugten und genutzten Energie durch eine intelligente Steuerung der Strom- und Wärmeerzeugung und des Verbrauchs erhöht werden kann.
Für die Zukunft plant EIFER, verstärkt die AnyLogic Cloud für diese Art von Projekten zu nutzen. Ferner möchte EIFER in weiteren Entwicklungen hin zu einem vernetzten Digitalen Zwilling zusätzliche Funktionen wie das Nachstellen realer historischer Szenarien in der virtuellen Umgebung, vorausschauende Steuerung, Optimierung sowie Lernalgorithmen realisieren.
Die Fallstudie wurde von Enrique Kremers von EIFER auf der AnyLogic Conference 2022 präsentiert.
Die Präsentation ist als PDF verfügbar.
